Intermezzo
Die Infektionszahlen steigen, die Impfzahlen sinken, die extremen Wettereignisse nehmen zu, die demokratischen Wertehaltungen nehmen ab – Sommer 2021 ist ein Intermezzo, das nicht frohgemut macht.
COVID
Ich gebe zu, ich warte jeden Tag auf die neuesten Statistikzahlen zu Covid19 von Erich Neuwirth. Ein vertraut gewordenes, erschreckendes Ritual. Ich lasse meine Prosa liegen, meine Romane, meine Sachbücher, die Tageszeitungen – weil mir die Zahlen von Erich Neuwirth so wichtig sind.
Und dann kommt dieser unbeschreibliche Ärger darüber, dass wir als Gesellschaft offenbar nicht viel dazugelernt haben in den letzten 17 Monaten. Ständig wird von Solidarität unterschiedlicher Provenienz gesprochen – einmal jung gegenüber alt, dann wieder alt gegenüber jung. Natürlich vermischt mit aktuellen Genderdebatten (die ich offengesagt intellektuell nicht mehr verfolgen kann, weil es mich so verwirrt).
KLIMA
Die 4. Welle nimmt gerade an Fahrt auf, die Bundespolitik wirkt mehrheitlich wiedermal überfordert. Sie denkt Anfang August über Follow Up in Schulen nach (!), erwähnt die Unis gar nicht mehr (sind doch Universitäten Horte des kritischen Diskurses und Auseinandersetzung, was man im gesellschaftlichen Diskurs nicht brauchen kann). Die Warnungen der Expertinnen prallen an den Sandburgen auf den Stränden von Spanien, Griechenland, Italien und Türkei ab. Länder, die sich nach den Überflutungen in Mitteleuropa mit einer extremen Hitzewelle konfrontiert sehen. Mit verheerenden Waldbränden. Aber ja, das ist halt so, weil es so heiss ist. Der Permafrostboden in Russland droht zu schmelzen mit nicht absehbaren Folgen für das Klima. Dieser Boden stammt übrigens aus dem Jungpleistozän. Für die Paläontologen unter uns ….
DEMOKRATIE
Und das alles vor dem Hintergrund des Abbaus von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – nicht irgendwo in Zentralasien. Bei uns, in Österreich, in Polen, Slowenien, Ungarn … Malta, Tschechien. Monopolitik, völlige Uniformierung, Vereinheitlichung von Sprache, Diskurs und Weltbild. Die 4. Gewalt, mit dem eigentlichen Vorzeigemodell öffentlich-rechtlicher Rundfunk- ein Spielball der eindimensionalen politischen Befindlichkeiten in Österreich. Zulasten von Meinungsvielfalt, kritischem Diskurs und Auseinandersetzung.
Mittendrin der Österreicher/in, genervt von vielen Lockdowns, nicht wirklich geradliniger Politik in Sachen Corona, von imperativer Politik bzw ihrer Inszenierung, Ablenkung, Unterwanderung, Infragestellung demokratischer Grundwerte.
ANARCHIE
Es ist schleichend und die Mehrheit merkt es nicht, die Minderheit begehrt auf, diskutiert in ihren (elitären) Zirkeln oder Blasengebilden wie Twitter. Es herrscht eigentlich eine Form von leichter Anarchie, man weiss teilweise den eigenen Standpunkt nicht mehr, beginnt, selbstverständliche Dinge zu hinterfragen. Widersetzt sich im Kleinen dem vermeintlich Grossem. Vergisst die Verantwortung des Einzelnen, die man für die Gesellschaft trägt, ohne radikal zu werden. Bei Dingen wie Klimaschutz, Toleranz, Meinungsvielfalt, Religionsfreiheit, etc.
Gesellschaftsbilder prallen aufeinander, man sucht nicht nach einem Konsens sondern befeuert den Dissens.
INTERMEZZO
Dieses Intermezzo birgt Chance und Gefahr zu gleich: der Ruf nach einem starken Mann und der damit verbundenen Führungsstärke kann lauter werden (allerdings hat das zumindest in Ö in den letzten Jahren keinen Erfolg gehabt), oder es bringt uns wieder näher den Werten, die Europa sich mühsam durch Aufklärung und den beiden fürchterlichen Weltkriegen erkämpft hat und die sich schlussendlich in der Europäischen Union manifestieren: Pluralismus, soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung. Beide Optionen haben nach diesem Intermezzo eine Chance. Finale furioso oder finale con Brio.
We will see.
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