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Leonard Bernstein & Österreich

„These days you have to be in the majority“

Dieser gehaltsvolle wahre Satz stammt aus einem meiner Lieblingswerke von Leonard Bernstein „Candide“. Bernstein wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Er ist ein -8er Jahrgang. 1938 war er 20 Jahre alt. Für mich, die sich seit vielen Jahren mit Leonard Bernstein auseinandersetzt, ist das eine seltsame Tatsache.

Bernsteins Stern ging auf, als er 1943 in New York für den erkrankten Bruno Walter am Pult der New Yorker Philharmoniker einsprang und ein fulminantes Konzert hinlegte.

Stalingrad

1943, das Jahr nach Stalingrad, 1 Jahr nach der Wannseekonferenz, die die industrielle Massenermordung jüdischer Mitbürger beschloss. Mir wurde bewusst, wie sehr Österreich nach wie vor von der menschenverachtenden Politik des Naziregimes geprägt ist. Und wie unfähig wir sind, damit richtig umzugehen und Chancen für die Zukunft daraus zu ziehen.

Es fehlt uns in Österreich noch immer an einer echten Auseinandersetzung mit den faschistisch autoritären Regimen, die in den 30er und 40er Jahren an der Macht waren. Nicht nur in Österreich sondern in ganz Europa. Wir beurteilen unsere Vergangenheit nach dem heutigen Wissens(?)stand. Nicht nach der Gemütslage von 1933, 1934 und 1938. Alle Parteien des politischen Spektrums versuchen sich in einer Art Wettbewerb gegen den Antisemitismus zu stellen, planen Gedenkstätten und vergessen in diesem Übereifer, dass auch Homosexuelle, Roma, Sinti, politische Gegner, Kranke, Behinderte genauso dem Nazi-Regime und seinen brutalen Methoden zum Opfer fielen.

Die Frau

Wir diskutieren nicht, dass die Frau in diesem Regime als Reproduktionsmaschine für den „Fortbestand der arischen Rasse“ diente. Dafür feiern wir auch jedes Jahr brav den von den Nationalsozialisten ins Leben gerufenen Muttertag, lassen ihn uns kommerzialisieren und unkritisch an uns vorüberziehen, ohne zu begreifen, was hier eigentlich betont wird.

Wir diskutieren nicht über den Sozialdemokraten Karl Renner, dem späteren Bundespräsidenten Österreichs, der sich seit 1918 für ein Deutsch-Österreich aussprach.

Wir analysieren nicht die Vaterländische Front und seine Schutzmacht, den italienischen Faschismus, setzen uns nicht damit auseinander, wie sich eine Politik unter Schuschnigg und Co weiterentwickelt hätte. Eine autoritäre, faschistische Politik, ohne demokratiepolitisches Verständnis, orientiert nach katholischen Werten. (Daher auch das Krukenkreuz als Parteisymbol)

Nürnberger Rassengesetze

Wir verurteilen die Nürnberger Rassengesetze. Und thematisieren nicht, dass Antisemitismus in einem katholisch geprägten Land wie Österreich und seinen Vorgängerstaatsmodellen an der Tagesordnung stand. Erst Joseph II schaffte durch das Toleranzpatent eine erste Entspannung, Karl Lueger, der „berühmte“ Wiener Bürgermeister, machte den gelebten Antisemitismus zum politischen Programm. Ich sage polemisch: Österreich brauchte für den Antisemitismus keine gesetzliche Verordnung, es lebte ihn. Und es stellte sich nicht gegen die Repressalien gegen Juden, die nach der Annexion Österreichs einsetzte.

Andere Zeiten, gleiche Problemstellungen

Den Menschen Anfang der 30er Jahren ging es nicht nur subjektiv sondern auch objektiv schlecht. Im Gegensatz zur heutigen Zeit. Die Finanzkrise hat uns erschüttert, aber besonders in Österreich und Deutschland sind wir durch diese Krise einigermassen gut durchgetaucht. Dennoch sind die Populisten am Werk. Auch aus mangelnden politischen Konzepten.

Nämlich jene Populisten, die nun auch das Jahr 1938 für ihre Zwecke nutzen und ausnützen. Und damit erfolgreich sind. Und offensichtlich viele beruhigen, die a prima vista Parallelen zu „damals“ zogen. Meiner Meinung nach zu recht. Wir sind zu unreflektiert unserer Vergangenheit gegenüber

Leonard Bernstein war in den USA sicher. Und brachte uns seine fantastische Musik näher. Gefeit vor dem Antisemitismus war auch er nicht. Als er in den 60er Jahren mit den Wiener Philharmonikern Gustav Mahler in Wien aufführte, schlug ihm eine Welle des Antisemitismus entgegen. Aus der Bevölkerung und auch aus dem Orchester. „Scheiss Musik“ wurde gemurmelt. Aber das ist eine andere Geschichte