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EU – ein flüchtiger Augenblick?

Die EU kommt nicht aus den Schlagzeilen. Nicht, weil sie ein so grossartiges Gebilde ist, das in den weltpolitischen Machtgefügen einen ebenbürtigen und starken Platz gefunden hat. Sondern paradoxerweise im Zusammenhang nationaler und nationalistischer Argumentationsketten. Diversifiziert statt geeint,  …

Man könnte meinen, auch an dieser Entwicklung sei der „Flüchtling“ schuld. Es ist richtig, dass die Flüchtlingsfrage die Europäische Union vor eine weitaus grössere Aufgabe stellt, als es die Finanzkrise je getan hat. Während die Finanzkrise und deren Lösungsansätze eine pragmatisch, trockene, für die meisten MitbürgerInnen nicht nachvollziehbare Strategie beinhaltete, ist die Flüchtlingsfrage vor allem eines: eine emotionale Angelegenheit, die Populismus und nationalen Eigenheiten enormen Aufwind geben. Allerdings ist dieser gelebte Nationalismus nicht ganz neu. Er wird sowohl innerhalb der Europäischen Union wie auch in der unmittelbaren wie mittelbaren geographischen Umgebung schon länger praktiziert. Nationale Interessen stehen vor denen der EU. Ich versuche mich in einem Schnellüberblick:

  • Finanzsektor

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wer in der Europäischen Union die Drahtzieher in der Finanzpolitik sind? Nun, die Antwort ist eindeutig: die Italiener. Mario Draghi ist Präsident der Europäischen Zentralbank, der oft zitierten heimlichen „wahren“ Regierung der EU und ausserdem ehemaliger Investmentbanker. Und noch dazu einer der Mitautoren des 5 Präsidenten-Planes für die EU.

Andrea Enria, Generaldirektor der Bankenaufsicht EBA, ist ebenfalls ein ehemaliger Investmentbanker und enger Vertrauter von Draghi. Der Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europäischen Parlament, Roberto Gualtieri, ist Mitglied im Vorstand der Partito Democratico, der sozialdemokratischen Partei Italiens. Er gilt in Brüsseler Kreisen als enger Vertrauter von Ministerpräsident Matteo Renzi und als sein willfähriger Vollstrecker bei Finanzthemen. Aktuelles Beispiel: die Debatte zur Europäischen Einlagensicherung. Während die meisten Mitglieder (sogar jene, die aus anderen mediterranen Ländern stammen) sich für eine Minimierung des souveränen Risikos  in den Bilanzen der Banken einsetzen, bevor nationale Einlagensicherungsfonds für ein mögliches Fehlverhalten der Banken in Europa haften, sieht der Vertreter Italiens keinerlei Zusammenhang zwischen diesen beiden Punkten. Warum das so ist, ist klar: gerade erst wurden 4 italienische Banken vom italienischen Staat durch ein Bail Out gerettet. Dies ist umso kritischer, da laut eines Reports der EZB (!) 200 Milliarden Euro der insgesamt 900 Milliarden Euro fauler Kredite in den Bilanzen der italienischen Banken zu finden sind. Eine mögliche Europäische Einlagensicherung hätte hier den italienischen Staat entlastet. Ohne Auflage der Banken, sich ihrer souveränen Risikoanteile in den Bilanzen zu entledigen.

  • Eurozone

Das Ziel der Europäischen Union muss und ist nach wie vor eine gemeinsame Währung. Doch wird dies nicht in ihren Aktivitäten umgesetzt. Die EU Kommission richtet sich zunehmend auf die Wirtschaftspolitik in der Eurozone aus und damit sehen sich die  Nicht-Euro Länder, wie zb Polen, ausgeschlossen. Die multilateralen Beratungen in der Frage der Wirtschaftspolitik verlaufen ohne Staaten wie Polen oder Ungarn, die wiederum dieses Faktum als Mitgliedsland zweiter Klasse klassifizieren. Es entsteht ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Das Resultat ist mehr als offensichtlich: in beiden Ländern hat der Nationalismus extrem an Bedeutung gewonnen. Offensichtlich wird dies bei der Lösung der Flüchtlingsfrage: diese beiden Länder sind Vorreiter bei der Nichterfüllung bzw Ablehnung der Flüchtlingsquote. Und bringen – obwohl zunächst von der europäischen Idee und der gemeinsame Währung fasziniert – das EU-Gebilde nachhaltig ins Wanken. Verschärft wird dieser Zustand durch die NATO: vor allem Polen empfindet diese als Schutzschild aus alten Ressentiments gegenüber Russland und ist daher für Gespräche einer EU-Armee nicht empfänglich.

  • Flüchtlingskrise

Dies ist eine besondere diffizile Herausforderung: die Sicherung der Außengrenzen durch Europa wäre ein Eingriff in die nationalen Souveränitäten. Das wollen die meisten Ländern nicht. Auch aufgrund ihrer Geschichte nicht. Beispiel: obwohl Griechenland das zweitgrösste Militärbudget der EU hat (und wie wir wissen, Frankreich und Deutschland daran gut verdient haben), wird die Armee für die Sicherung der Grenzen nicht eingesetzt. Seit der Militärdiktatur in den 70erJahren darf die griechische Armee ausschliesslich gegen Feinde vorgehen. Und das ist der Flüchtling im völkerrechtlichen Sinne nicht. Das heisst: obwohl die griechische Armee bestens ausgerüstet wäre, den Flüchtlingsstrom im Sinne einer Sicherung der Aussengrenzen zu unterbinden, tut sie es nicht sondern verlangt europäische FinanzHilfe. Mit der Fragestellung des Souveränitätseingriffs.

Gleichzeitig werden die Flüchtlinge in den angrenzenden Ländern als strategisches Mittel benützt, um individuelle, national – politische Ziele durchzusetzen:

  1. Marokko und die Fischereirechte: Seit die EU diese vor der Küste der Westsahara übertragen bekommen hat, hat sich der Zustrom an Flüchtlingen aus Marokko merklich verstärkt. Ihr „Weiterzug“ nach Europa ist ein politisches Druckmittel seitens der marokkanischen Regierung. Fakt ist: laut UNHCR stammen die meisten Flüchtlinge in Marokko aus der Sahelzone und wollen in Nordafrika bleiben.

  2.  Iran: 40% der afghanischen Flüchtlinge, die nach Europa ziehen, sind im Iran geboren. Dieser Flüchtlingsstrom soll massiv von Rouhani forciert sein, um den Erzfeind Türkei zu destabilisieren. (Schiiten versus Sunniten). Gleichzeitig tourt der iranische Präsident durch die EU, um nach der Aufhebung der Sanktionen dementsprechende Wirtschaftskontakte mit der EU zu etablieren. Die Türkei hat wiederum ein bilaterales Rückfuhrrecht der Flüchtlinge mit Griechenland abgeschlossen. Die Zahl der rückgeführten Flüchtlinge befindet sich unter der Wahrnehmungsschwelle. Warum diese Möglichkeit von Griechenland nicht mehr ausgenützt wird, ist auch nicht nachvollziehbar.

  3. Und schlussendlich: in Libyen befinden sich knapp 4 Millionen Flüchtlinge. Das UN Hochkommissariat für Flüchtlinge befürchtet hier die nächste Welle Richtung Europa. Und zwar diesmal wieder über das Mittelmeer, weil bereits jetzt unter den Flüchtlingen bekannt ist, dass der Weg nach Europa über den Balkan immer schwieriger wird

    Die Europäische Union droht zu zersplittern. Sie bräuchte einen Vertreter beim Internationalen Währungsfonds, sie bräuchte eine europäisches Insolvenzrecht, sie benötigte eine Europäische Ratingagentur, eine Europäische Armee.  Sie sollte als Antwort auf Silicon Valley et al eine europäische Digitale Holding formieren. Konkretere Anzeichen gibt es im Rahmen der Kapitalmarktunion für einen europäischen Venture Capital Fonds.

Um abgewandelt mit Goethe zu schliessen: „Europa, verbleibe noch, du bist so schön“