Demokratie-Verwahrlosung
Es ist absurd: im Osten unseres Kontinents tobt ein Aggressionskrieg auf ukrainischem Gebiet, ausgelöst durch Russland, das das Völkerrecht und die Souveränität eines Staates missachtend, imperialistische Allmachtsfantasien eines Grossrusslands betreibt. Die freie Welt, die liberale Demokratie, die Aufklärung werden hier massiv von einem Weltbild angegriffen, das sich tief in der Vergangenheit bewegt.
Abwenden von Politik
Und was passiert zeitgleich in Europa? Die Auswirkungen des Krieges verursachen eine Radikalisierung in der Gesellschaft. Aus Angst vor dem Wohlstandsverlust und dem sozialen Abstieg (und gleichzeitig eines aktiven Versagens der politisch Verantwortlichen), wenden sich die Menschen immer mehr von der Politik ab. Flüchten sich in Parallelwelten – die ihre eigenen Bubbles bilden mittels Informationsplattformen, die auch gern von jenen finanziert werden, die sich wirtschaftliche Erfolge und mehr Einfluss auf die Politik erhoffen. Es werden krude Verschwörungstheorien verbreitet, die unwidersprochen im Netz stehen bleiben.
Antisystem en vogue
Aus dieser Melange bilden sich dann neue politische Bewegungen bzw „Persönlichkeiten“, die den verunsicherten Menschen vermeintlich eine politische Perspektive bieten, weil sie die Ängste richtig formulieren, ohne die entsprechenden Lösungen dafür zu haben. Die Kritik am System, die antisystemische Haltung ist ein willkommener und einfacher Weg, seiner Wut und seinem Frust auf „die da oben“ Ausdruck zu verleihen.
Einmal mehr spielt hier die digitale Kommunikation eine grosse Rolle. Man kommt mittlerweile kaum noch nach, die grosse Wucht an faktenbefreiten Thesen analytisch und eindringlich zu widerlegen. Nach dem klassischen journalistischen Prinzip Check.recheck.rerecheck. Politik wird immer kleinteiliger und die temporäre Empörung um noch so unwichtige Nebenmeldungen, treibt die politische Kommunikation im digitalen Bereich vor sich her. Umso unverständlicher ist es dann, dass unabhängige journalistisch einwandfreie digitale Newsplattformen wie orf.at ihr redaktionelles Angebot reduzieren sollen. Das schadet nämlich vor allem einem: unserer Demokratie.
Konsens und Kompromiss?
Es birgt mehrere Gefahren in sich: der Wandel hin zu einer Plutokratie oder – und auf Social Media gewinnt man hier zunehmend den Eindruck – zu einer Ochlokratie. Freie Meinungsäusserung, Diskursfähigkeit, Faktenbasierte Diskussionen und Kontroversen werden immer schwieriger. Die Menschen ziehen sich in ihre jeweilige Echokammern zurück. Fühlen sich dort wohl weil sie ihresgleichen finden. Und damit schwindet immer mehr die wichtigste Komponente einer Demokratie: der Wille zum Kompromiss und Konsens. Ohne diese beiden Parameter kann eine liberale Demokratie nicht funktionieren.
Das müssen wir schleunigst wieder lernen. Politik ist Kompromiss. Basierend auf Fakten und seriösem Diskurs und Austausch. Das sollte uns allen Demokratie, von der wir seit Jahrzehnten persönlich profitieren, wert sein. Jetzt müssen wir ihr zeigen, wie dankbar wir sind sie zu haben.