Der Co-Pilot
Ich gebe zu, ich war sehr irritiert. Mitten in Europa ein Flugzeugabsturz. Mit einer Fluglinie, mit der ich regelmässig fliege. Ich hatte Angst, war unruhig. Dachte daran, dass dies auch mir passieren hätte können. Dachte an die Passagiere. Hoffte für sie die Begründung eines Druckabfalls. War erleichtert, als es menschliches Versagen war. Erleichtert? Ja. Und ab dem Zeitpunkt angewidert.
Schon Mittwoch in der Früh las ich die Mutmassungen zur Absturzursache. Aufgebracht von der NYT in der europäischen Nacht. Und dann waren sie da die Spekulationen. Flugexperten im Fernsehen, Flugexperten aufgrund Vielfliegerei in den Sozialen Medien, bereits erste Vermutungen Richtung Suizid. Aus den USA schwappte bereits der Name des Co-Pilot nach Europa. Die Lufthansa schützte die Namen der gesamten Crew, aus Rücksicht vor Angehörigen und auch aufgrund der Tatsache, dass längst noch kein Endergebnis vorliegt.
Es „Pressiert“
Dann kam die Pressekonferenz des französischen Staatsanwaltes. Der den Namen des Co-Pilotes buchstabierte. Mehrfach. Zum Mitschreiben. Ich habe die Pressekonferenz live verfolgt. Ich war fassungslos ob des möglichen Motivs des Absturzes. Aber viel fassungsloser war ich wie mit der Privatsphäre eines vermutlichen Selbstmörders umgegangen wurde.
Vor allem die französischen und deutschen Medien matchten sich um die neuesten Erkenntnisse. Keine Empörung darüber, dass aus Ermittlerkreisen diese hochsensiblen Daten an Medien gespielt wurden. Die Hetzjagd auf den Co-Piloten und damit seiner Familie/ Freunde/ Nachbarn/ Angehörige war eröffnet. Im digitalen wie analogen Bereich. Mit Überschriften, die einer angeblichen Zivilgesellschaft nicht würdig sind. Mit dem Hinweis, dass es sich hier um das Recht auf Information des Bürgers/In handle. Der Boulevard ist wieder in seinem Element. Die noch bis vor kurzem stattfindende nationalchauvinistische Diskussion zu Deutschland – Griechenland wirkte fast intellektuell im Vergleich zu dieser Hetzjagd. Die Medien versagen wiederum als vierte Gewalt. Sowohl digital als auch analog. Warum zensuriert Facebook Bilder blanker Busen aber nicht die des Co-Piloten? Wegen der Quote? oder wie es nun heisst, wegen der Klicks? Erschreckend auch das Verhalten mancher öffentlich rechtlicher Medien in Deutschland, die in ihrer Berichterstattung mittlerweile im tiefen Boulevard stecken. Nicht zum ersten Mal. Auch der Fall Edathy belegt dies rezent.
Depression als gesellschaftlicher Makel
Und nicht nur das. Die Krankheit „Depression“ wird seitdem Tag aus Tag ein als Makel und gesellschaftlich unverantwortliche Dimension dargestellt. Ein Mensch mit „so einer“ Erkrankung darf nicht als Pilot zugelassen werden. Die Kontrollmechanismen haben versagt. Der Arbeitgeber hat versagt. Neue, für mich hilflos wirkende Massnahmen, wie die kontinuierliche Anwesenheit von zwei Personen in Cockpit, wurden sofort in actu gestellt, um die Reaktionswilligkeit aufzuzeigen. Und die Lufthansa hat nun eine eigene Stabstelle zur Kontrolle von Piloten installiert. Gleichzeitig wird den von der Krankheit Betroffenen signalisiert: du bist nicht perfekt, sei vorsichtig. Ab sofort wirst du mit einer psychischen Erkrankung besonders behandelt. Und das wahrscheinlich nicht zu Deinem Vorteil. … Eine gesellschaftliche Isolierung droht. Eine, die solchen Krankheitsbildern zusätzlichen Schub leistet.
Nur was zeigt das uns? Es zeigt, dass wir als Zivilgesellschaft, die sich als eine von der Aufklärung beeinflusste selbstbewusst wähnt, absolut keine aufgeklärte Gesellschaft sind. Wir fordern plötzlich Kontrollen, Überwachungen, um uns zu schützen. Sind voyeuristisch dabei, wie die Privatsphäre eines toten Menschen in die Öffentlichkeit mittels Durchsuchungen gezerrt wird. Wir wollen und fordern absolute Sicherheit und daher Transparenz eines Menschen. Nur das wird uns nicht gelingen. Solange der Mensch Mensch ist, bleibt immer ein Restrisiko, das nichts und niemand eindämmen wird können. Gleichzeitig wehren wir uns gegen die Vorratsdatenspeicherung, die NSA, gegen den Überwachungsstaat.
Vielleicht sollten wir dies zum Anlass nehmen, um uns mit der Wichtigkeit des Schutzes der Privatsphäre auseinanderzusetzen und wie weit wir eigentlich als Gesellschaft schon waren, bevor uns die digitale Welle und die Mediakratur uns zu ihrem Spielball gemacht hat. Fangen wir doch einmal bei uns selbst an. Und beschämen damit die anderen.
Danke für diesen Text – er spricht mir aus der Seele.
Ein wohlbedachter Text, ein notwendiger Diskussionsbeitrag, ein essentieller Kontrapunkt. Zu der atemlosen Skandalgier und zu der geifernden Sensationslust, zu der brutalen Rücksichtslosigkeit und zu der eitlen Selbstdarstellerei, zu der Anmaßung von Beurteilung und Verurteilung ohne gesicherte Faktenkenntnis. Wie sie – einem zivilisatorischen Dammbruch gleich – Berichte und Kommentare in analogen wie digitalen Medien zu diesem furchtbaren Ereignis dominierten. Bis hin zur Leichtfertigkeit und Skrupellosigkeit, auf Titelseiten und in Social Media Foren das Foto eines vollkommen Unbeteiligten als das des im medialen Schnellverfahren bereits schuldiggesprochenen Co Piloten zu verbreiten. Pars pro toto für das, was Ich am erschreckendsten und widerwärtigsten finde: Die vollkommene Missachtung der Privatsphäre und deren Schutzanspruches sowie der Verlust jedweden menschlichen Respektes vor Betroffenen. Ein Rückfall hinter Aufklärung und Humanismus, ein Menetekel für die Verantwortung von Medien und Gesellschaft. Uns aller Verantwortung!
Deshalb bin ich der Autorin für diesen Blog ob der Qualität der Themenbehandlung, der Vielfalt der Denkanstöße und der ihm innewohnenden Zivilcourage ungemein dankbar. Verleiht sie doch trefflich Äsops weisem Rat Ausdruck: „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem!“