Nina Hoppe - Strategia. Politica . Media.

Edathy

Da saß er im Frühling 2014 irgendwo in Südeuropa. In einer Region, die der mitteleuropäische Tourist um diese Zeit besonders gerne aufsucht. Wegen des milden Klimas. Der frühlingshaften Temperaturen. Der strahlenden Sonne. Nur war er nicht freiwillig dort. Er war auf der Flucht. Vor Niedertracht, Demütigung und Verleumdung: Sebastian Edathy. Im Europa des 21. Jahrhunderts.

Ein wenig erinnert es an Franz Kafkas „Der Prozess“ – nur dass in Edathys Fall nicht das Gericht sondern die Staatsanwaltschaft sich nicht ganz objektiv verhielt. Und damit die Schleusen für öffentliche Empörung und Verleudmung öffnete.

Sebastian Edathy ist nicht pädophil. Dies ist seine Meinung. Und auch meine. Dass er als Bundestagsabgeordneter der SPD ausscheiden musste, ist legitim. Eine öffentlichen Person, die die Interessen der Bürger vertritt, hat bei solchen Verdachtsfällen wie bei Edathy Konsequenzen zu ziehen und sich ihrer öffentlichen Funktionen zu entledigen. Bis zur Klärung des Sachverhaltes. Und bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.

Humanismus? Liberalismus? Nicht bei Edathy!
Edathy hatte von Beginn keine Chance, dem Vorwurf als Privatperson entgegen zu treten. Seine Handlungen wurden mit grosser Unterstützung  der Medien und einer offensichtlich publizitätsaffinen Staatsanwaltschaft von Anfang an polemisch dargestellt und damit auch angeklagt. Edathy selbst bestritt stets Kinderpornografie zu konsumieren. Egal! Die Hetzjagd war eröffnet. Beschimpfungen, Erniedrigungen, Verhöhnung der Unschuldsvermutung „Einer der solche Bilder anschaut, wird auch Anderes konsumieren“. In einer Gesellschaft, die das liberale und humanistische Gut der Aufklärung völlig vergessen zu haben scheint. In einer Welt, in der es noch nie so leicht war, „Shitstorms“ auszulösen. Egal ob vor legalem bzw legitimen Hintergrund. Eine Gesellschaft, die gerade sich noch heftigst gegen NSA und VDS gewehrt hat und trotzdem in einem Atemzug genau danach ruft. Um „solche“ Menschen wie Edathy von „unseren Kindern, die schützenswert sind“ fernzuhalten. (Edathy verurteilte mehrfach in seinen Stellungnahmen die Kinderpornografie. Wurde nicht gehört. Oder eben hämisch kommentiert)

Fall Edathy soll Schule machen
Vielleicht zeigt der Fall Edathy aber auch, dass es in der digitalen Gesellschaft weitaus schwieriger ist, dem einzelnen das Recht auf Privatsphäre zu gewähren und verantwortungsvoll damit umzugehen. Und damit meine ich alle Proponenten der Zivilgesellschaft, also auch die Politik. Ein zentrales Prinzip des Liberalismus sagt „Freiheit heisst Verantwortung“. Wir waren noch nie so durchleuchtet und dennoch strikt darauf bedacht  – und das zu Recht – unsere Privatsphäre zu schützen.

Auch Sebastian Edathy ist ein Teil dieser neuen Welt. Das legale Runterladen von naturalistischen Fotos ist heutzutage schneller nachzuvollziehen als noch vor 15 Jahren. Die Anbieter solcher Bilder agieren meistens im juristischen Graubereich und bieten auch strafbare Videos oder Bildmaterial an. Früher wäre Edathy vielleicht in ein Museum gegangen oder in eine Bücherei, wo er sich Bücher mit Akten von Kindern und Jugendlichen ausgeliehen hätte. Ohne Verurteilung. Ohne Häme. Ohne Hetze.

„In der Kunstgeschichte hat der männliche Akt, auch der Kinder- und Jugendakt, eine lange Tradition. Man muss daran keinen Gefallen finden, man darf es aber.“ (Sebastian Edathy, 16.3.2014, Spiegel online)

Daher: nehmt doch in der Schule wie auch in der Familie dieses Beispiel zum Anlass und klärt die Kinder auf! Nehmt es als Anlass, sie vor Missbräuchen zu schützen. Aber zeigt auch auf, was im Fall Edathy falsch gelaufen ist. Wo das liberale Prinzip dem gesellschaftlichen Trend der Hetzjagd gewichen ist. Und was unsere Wertegesellschaft an Liberalismus und Humanismus in diesem konkreten Fall vermissen ließ. Gerade die Digital Natives sind eine gefährdete Zielgruppe derer, mit denen Edathy zu Unrecht auf eine Ebene gestellt wird. Die Jugendlichen sollten die Privatsphäre in der digitalen Welt hochhalten. Und sie nicht als Ort, an dem Platz ist für Rache, Stalking und Demütigung, verstanden wissen. Ein Trend, der sich immer mehr verbreitet.

Wir alle sind Edathy.

3 Kommentare
  1. Michael IKRATH
    Michael IKRATH sagte:

    Ich bin dankbar für diesen mutigen Beitrag, dessen Inhalt und Aussagen ich Satz für Satz teile. Als ehemaliger Justizsprecher der ÖVP und Vorsitzender des parlamentarischen Jusizausschusses ebenso wie als Humanist und Ordoliberaler. Der Fall Edathy alarmiert. Er demonstriert eine gesellschaftspolitische Entwicklung, die den liberalen Rechtsstaat herausfordert und mehr und mehr in Frage stellt. Auch in Österreich. Nicht mehr aufgeklärte Vernunft sondern unreflektierte Emotionen, nicht mehr gesetztes Recht sondern subjektives Rechtsempfinden, nicht mehr konkreter Sachverhalt sondern nebulose Schuldvermutung entscheiden zunehmend über das Schicksal von Bürgern, die zu Beschuldigten werden. Besonders dann, wenn es sich um Personen öffentlichen Interesses handelt. Gesellschaftliche Vorverurteilung tritt an die Stelle der Unschuldsvermutung, das Legalitätsprinzip erodiert im Zuge der Überwachungs – und Erkundungsbedürfnisse der Behörden, die Gewaltenteilung zwischen Judikative/Staatsanwaltschaft und Exekutive/Polizei verschwimmt, das Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht samt dessen Urteil und das „In dubio pro reo“ – Prinzip werden von Jagd – und Hetzgesellschaften in alten wie neuen Medien und deren Femegerichtsbarkeit ignoriert. Durch diese Entwicklung aber werden die zentralen, hart erkämpften Errungenschaften des liberalen Rechtsstaates in Gefahr gebracht. Dies gleichermaßen zu Lasten des Rechtsgüterschutzes und des Freiheitsanspruches des einzelnen Bürgers als zu Lasten der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens in unserer Gesellschaft.

    Dagegen gilt es klar Position zu beziehen und konsequent Widerstand zu leisten. Darin liegt der große Verdienst dieses Blogs. Ein ebensolcher Verdienst wie er dem Kommentar des deutschen Bundesrichters Thomas FISCHER in „ZEIT ONLINE“ vom 6. März 2015 zukommt.

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  2. Rob
    Rob sagte:

    Bravo, sage ich als einfacher Bürger! Sie sind ein mutiger Mensch und haben keine Angst, ihr Image zu gefährden! In der Tat: Edathy war geständig. Er hat gestanden, legale Bilder mit nackten Jugendlichen (14-18) ohne Bezug zu sexuellen Handlungen aus dem Netz geladen zu haben bzw. zu besitzen. Das Gericht konnte ihn aufgrund der Sachlage nicht einmal wegen des Besitzes von Jugendpornographie verurteilen. Rechtlich gesehen gilt für ihn also die Unschuldsvermutung.
    Für die Presse + Öffentlichkeit aber nicht: Für sie ist er ein überführter, geständiger Kinderpornographie-Süchtiger, der durch sein Verhalten zeigt, dass er Missbrauch von Kindern unterstützt und kein Mitleid kennt.
    Eigentlich unglaublich!

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