Nina Hoppe - Strategia. Politica. Media.

Europa – mehr oder weniger?

Die Ereignisse der jüngsten Zeit haben etwas Erschreckendes zu Tage gebracht: die Europäische Union scheitert stets dabei, wenn es darum geht, ihr Erbe der Aufklärung –  nämlich Freiheit des Bürgers, Verteidigung dieser Freiheit und offene Gesellschaft – zu bewahren. Sicherheits-, Verteidigungs- und Freiheitschutz – Themen, für die die Europäische Union keine Antworten hat. Droht daher eine Re-Nationlisierung und damit das Scheitern dieser grossartigen Vision von Spinelli, Schuman & Co?
Die europäische Politik, konkret, die politischen Verantwortlichen der Europäischen Union wirken überfordert. Griechenland? Scheint nach aussen hin „gerettet“, intern rumort es weiterhin gewaltig. Euro? Keine Stabilität, volatil, verliert gegenüber anderen Weltwährungen. Vertiefung der Fiskal-, Wirtschafts- und Währungsunion? Nun man könnte fast polemisch sagen – wen interessiert das überhaupt noch? Angesichts der Sicherheitsdebatte, der Migrationspolitik, der nationalen Militärmanöver der einzelnen EU Länder –  wen interessiert Europa eigentlich noch wirklich. Ausser es kommt nationalen Interessen entgegen. Deswegen ist auch EZB-Chef Mario Draghi massiv für eine vergemeinschaftete Europäische Einlagensicherung: nicht zuletzt um das bereits leicht strauchelnde Italien zu retten, ohne künftig den italienischen Staatshaushalt damit belasten zu müssen. Daher umso mehr die Frage: interessiert Europa sich noch für sich selbst?

Überwachung und Nationalismus
Am besten erkennt man das langsame Scheitern der Europäische Union beim Thema der Geheimdienste und deren sehr unterschiedliche Ausrichtungen und Operationskonzepte. Daran sieht man den Umgang mit den Grund- und Freiheitsrechten der Bürger und dem Datenschutz bzw der Privatsphäre. In Frankreich, dem Land der Aufklärung und der Bürgerechte, gibt es seit jeher ein sehr engmaschiges Überwachungsnetz. In Österreich wird seit längerer Zeit versucht, die Vorratsdatenspeicherung (VDS) und das Staatsschutzgesetz zu Lasten des liberalen Rechtsstaates und der Bürgerfreiheiten zu verabschieden. Im Gegensatz dazu wird das Informationsfreiheitsgesetz auf die lange Bank geschoben.
Es gibt keine einheitliche europäische Auffassung, wo die Grenze für die Aufhebung von Grund- und Freiheitsrechten unter dem Schlagwort „Sicherheit“ zu ziehen ist. Welche Eingriffskompetenz dem Staat und seinen Sicherheitsbehörden gegenüber einer freiheitlich verfassten Gesellschaft zu zugestehen ist, ohne ihre Wertebasis aufzuheben. Schon alleine in Österreich und Deutschland sind hier wesentliche Unterschiede zu erkennen: Österreich in der Tradition Maria Theresia „Staat hat Aufgabe Gesellschaft zu verwalten“, Deutschland in der Friedrichschen Dimension „Die Gesellschaft wird durch den Staat organisiert“. Begriffe wie Datenschutz und Privatssphäre werden in den offenen Gesellschaften wie in Skandinavien weitaus grosszügiger begegnet als in Mitteleuropa oder gar in den östlichen Mitgliedsländern. Da ist es noch nicht allzulange her, dass Geheimdienste sich gegen die eigenen Bevölkerung richteten.

Wo bleibt Europa?
Und heute? Die Länder machen die Grenzen dicht – trotz Schengen. Und ohne Protest aus Brüssel. Die einzelnen Staaten der EU betonen eine intensive Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrors. Eine seltsame Formulierung, wenn man bedenkt, dass sie sich eigentlich  innerhalb einer Grenze befinden. Nämlich Schengen. Die NATO dient als militärisches Schutzschild Europas und wird als Bündnispartner bei möglichen Vergeltungsaktionen bemüht – warum nicht endlich eine Emanzipation und Aufbau einer eigenen EU-Armee? Und damit auch eine Emanzipation nicht nur gegenüber der USA sondern auch Russland. Auf Basis der europäischen Werte nämlich. (auch wenn dieses Wort zur Zeit zu oft strapaziert wird) Stattdessen werden nationale Aktionspläne verabschiedet. Belgien gerät unter Druck und wird als „Islamisten“ Hochburg Europas verhöhnt.

Standardisierte gemeinschaftliche Integrationsmassnahmen in der EU? Weit gefehlt. So etwas finden wir vielleicht in Regulierungsmassnahmen wie der Bankenunion. Die Vergemeinschaftung. Weil dies ja auch die Aufgabe der nationalen Spezifika und in weiterer Folge auch die Aufgabe des Nationalstaates zur Folge hätte. Dann wären die Ziele der terroristischen Attacken nicht mehr Länder wie Frankreich oder Deutschland, weil dann nicht nur einzelne Länder sich militärisch wehren. Das wäre Europa (und auf FB wäre auch das Profilbild in die Europaflagge eingebettet als Zeichen der „Werte“verteidigung).

Was will Europa? Was wollen wir?
Nur: wollen wir das nun eigentlich? Also wir, die BürgerInnen dieser Europäischen Union? Es gibt viele Anzeichen, dass Regierungen, Länder, Wirtschafts- und Politische Räume ausserhalb Europas das Europäische Projekt nicht wollen. Ein starkes, selbstbewusstes Europa nämlich. Wirtschaftlich ist die EU schon vor USA und China. Die EU könnte ein zu starkes Projekt werden, wenn es sich nach aussen hin zu wehren weiss durch innere Stärke und emanzipierter und unabhängiger auftritt.

  • Die Wirtschaft der EU ist heute – gemessen am Volumen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs (BIP) – größer als die Wirtschaft der USA: 13,920541 Billionen Euro (BIP der EU 2014)
  • Der Anteil der EU an der Weltbevölkerung beträgt lediglich 7 %. Dennoch entfallen auf den Handel zwischen der EU und der restlichen Welt rund 20 % der weltweiten Ein- und Ausfuhren.
  • Etwa zwei Drittel des Gesamthandels der EU-Länder erfolgt mit anderen EU-Ländern.
  • Der EU-Handel ist vom weltweiten Wirtschaftsabschwung nicht unverschont geblieben. Dennoch nimmt die EU mit einem Anteil von 16,4 % der weltweiten Importe im Jahr 2011 weiterhin weltweit die Spitzenposition ein, gefolgt von den USA mit 15,5 % der Gesamtimporte und von China mit 11,9 %.
  • Darüber hinaus war die EU mit 15,4 % der Gesamtausfuhren der größte Exporteur vor China (13,4 %) und den USA (10,5 %)

Wir wollen Europa. Nur mehr oder weniger. Und ob es dafür eine Lösung gibt, kann ich aus heutiger Sicht nicht sagen.

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